Nach zweijähriger Pause hatte Landrat Henry Graichen anlässlich des Nationalfeiertages für den 3. Oktober ins Böhlener Kulturhaus geladen. Knapp 400 Gäste nutzten die Gelegenheit, gemeinsam den Tag der Deutschen Einheit mit einem Konzert des Leipziger Symphonieorchesters zu feiern. Überschattet wurde dieser an sich "freudige Tag", so Intendant Wolfgang Rögner, durch die Folgen des russischen Überfalls auf die Ukraine, der bei allen Rednern für nachdenkliche Töne sorgte.
"Die Einigkeit war kein Geschenk, viele haben dabei viel riskiert", erinnerte Böhlens Bürgermeister Dietmar Berndt in der Begrüßung. Der Tag der Deutschen Einheit beweise, was Menschen bewegen können auf friedlicher Weise. Und Frieden brauche es heute mehr denn je, so sein Apell.
Für Henry Graichen, der als Redner an der Feierstunde des Bodenseekreises teilnahm, übernahm Vizelandrat Gerald Lehne das Grußwort. Mit prägnanten Bildern ließ er die angespannte politische Situation in der Wendezeit wieder aufleben und gedachte an Michail Gorbatschow "ohne dessen persönlichen Einsatz wir heute nicht hier wären". Gerade familiären Erinnerungen, wie der Armeedienst des Bruders mit befürchtetem Schießbefehl, die Organisation der Friedensgebete durch den Vater oder kritische Äußerungen, die den Onkel an die russische Front brachten, machten Diktatur und Willkür für die jüngere Generation greifbar. Daher, so Lehne, sehe er auch die Gesellschaft in der Pflicht, dieses Wissen weiter zu geben und zu bewahren.
Tobias Hollitzer, Mitbegründer und Geschäftsführer des Leipziger Bürgerkomitees, arbeitet seit vielen Jahren aktiv an der Aufarbeitung der DDR-Geschichte. In seiner Festrede drang er darauf, die Bedeutung von Freiheit und Demokratie auch weiterhin bewusst zu halten. Hollitzer erinnerte im Rückblick an die Widerstände gegen die kommunistische Besatzung 1945 oder den Aufstand am 17. Juni 1953. In einer sprichwörtlichen Bürgerbewegung setzten Ender der 80er Jahre zehntausende von ausreisewilligen Menschen ein gewaltfreies zentrales Signal, so Hollitzer. Aus heutiger Sicht seien strengbewachte Grenzen unvorstellbar.
Mit Reisefreiheit, runden Tischen und freier Volkskammerwahl sei die Freiheit vor der Einheit erreicht worden. Mit einer Wahlbeteiligung von 93 % sei die demokratische Entscheidung für eine schnelle Vereinigung beider Staaten getroffen wurde, auch wenn sich viele der Tragweite nicht bewusst waren. Hollitzer zitierte aktuelle Umfragen nach denen 56 % der Ostdeutschen die Wiedervereinigung für nicht geglückt halten und erinnert daran, dass Freiheit, Demokratie und Bürgerrechte erstritten wurden, um die Ungleichheit im Gegensatz zur Einheitsgesellschaft auch auszuhalten.
Dass demokratischen Aushandlungsprozesse besonders in Ostdeutschland oft kritisch betrachtet würden, zeige eine Befragung zur Einschätzung demokratischer Staatsformen. Das zeige "Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind keine Geschenke", so Hollitzer, sie müssten immer wieder verteidigt werden. Der ukrainische Krieg zeige dies deutlich was Diktatur ausmache: "Jeder Protest wird diskreditiert, kriminalisiert und brutal verfolgt". Mit dem zeitlichen Abstand werde der Blick auf die eigene Geschichte immer wichtiger.
Das Leipziger Symphonieorchester unter der Leitung von Chefdirigent Robbert van Steijn schuf gekonnt den klanglichen Rahmen zu den eindringlichen Worten und begeisterte das Publikum mit Werken von Werke von Bach, Mozart, Strauss, Mascagni und Brahms.
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Diese Pressemitteilung wurde erstellt von Brigitte Laux.